Die Entrüstung, der Aufschrei ist mal wieder groß.
War es bis vor wenigen Tagen noch das große C, rückte das in den Hintergrund, wurde von der Polizeigewalt in Amerika und dann ganz schnell von dem neuen Fall in Münster abgelöst.
"Härtere Strafen", "wegsperren für immer" oder auch "Leben beenden" liest und hört man in diesem Zusammenhang immer wieder.
Die Zeitung mit den 4 Buchstaben schreit "wir bleiben für die Opfer dran", ja ne is klar. Politiker erzählen "härtere Strafen müssen her" und springen auf die Betroffenheitskutsche auf.
Ein schwieriges Thema, bei dem die Emotionen immer ganz schnell hochkochen, immerhin geht es ja um Kinder. Die Tatsache, dass es eben nicht die bösen fremden Menschen sind, das solche Taten hauptsächlich im häuslichen Umfeld erfolgen, rückt in den Hintergrund. Findet wenig bis keine Erwähnung, der Schwerpunkt der Berichterstattung liegt auf "professionell, Netzwerk, Computer, Dark Net, Geld verdienen", die Opfer rücken in den Hintergrund, wenn überhaupt wird von "abscheulichen Taten" gesprochen, das was diese Taten mit den Kindern gemacht haben, was diese für deren Zukunft bedeuten, wird mit "schlimm" abgehandelt und fertig.
Das der große Anteil solcher Taten nicht so perfide vermarktet wird, sondern "still" jeden Tag tausendfach passiert und du dir sicher sein kannst, wenn du nicht ebenfalls zu den Betroffenen gehörst, dass du mindestens ein Kind kennst, das "still" ist und ganz sicher eine Erwachsene Person, die zu den Opfern gehört, damit verbunden auch die Tatsache, dass die Wahrscheinlichkeit sehr hoch ist, dass du eben auch Täter kennst, findet keine Erwähnung.
Der Strafkatalog ist ausreichend, wird aber nach wie vor nicht umfänglich genutzt, manchmal fehlt es an Beweisen, wie in anderen Strafprozessen wirkt"Geständigkeit", besonders wenn damit die Opfer um eine Aussage herumkommen, strafmildernd. Die Verjährungsfristen sind ebenfalls oft strafmildernd. So ist unsere Rechtsprechung. Aber was ist mit den Opfern? Sie haben die Möglichkeit als Nebenkläger in den Prozessen "aufzutreten", aber dann?
Packen wir mal die Fakten auf den Tisch:
Kommt es zu einer Verurteilung, kann das Opfer Opferentschädigungsgeld beantragen, das auf Basis des Urteils und einer erneuten Prüfung durch Sachverständige Psychologen und Ärzte dann festgelegt wird. Der Staat zahlt also dafür, dass er die betreffende Person nicht vor der erfahrenen Gewalt schützen konnte. In diesem Rahmen kann es dann zur Zahlung von Kuraufenthalten, Operationen oder und das ist in diesen Fällen wohl die Hauptlast zur Übernahme von psychotherapeutischen Maßnahmen kommen. Ferner steht, je nach Urteil und Feststellung durch die Gutachter den Opfern eine Erwerbsminderungsrente zu. Diese staffelt sich dann zwischen 190 (30%) bis knapp 700 Euro bei voller Erwerbsminderung.
Liest sich zunächst gut oder? Wir reden hier aber von einer Gewalttat, die sich umfassend auswirkt auf den Menschen, die eben nicht mit ein paar Pillen und Gesprächen behandelt und geheilt werden kann.
Die Folgen sind nicht wie eine Wunde, die vernarbt und irgendwann eben nicht mehr da ist, sondern begleiten lebenslang. Wichtig ist das diese so behandelt werden, dass die Opfer die Möglichkeit haben, das Geschehene zu verarbeiten und zu lernen, damit zu leben. Nicht in der Opferrolle, sondern in der Rolle des Betroffenen noch besser des Überlebenden.
Dafür benötigt es oft mehr als 80 (Verhaltenstherapie) bis 300 Stunden (analytische Psychotherapie), die einmalig übernommen werden. Das sind die Zahlen, die von den Krankenkassen oder eben Leistungsträgern des OEG angesetzt werden. Benötigt jemand danach mehr Stunden, müssen wieder Anträge gestellt werden und nicht selten landen diese vor den Sozialgerichten undwerden dann abgelehnt. Die ehemaligen Opfer müssen erneut um das eigene Recht kämpfen.
Achja, dann kann der Betroffene mit dem Geld, aus dem Opferentschädigungsgesetz die Therapiestunden zahlen. Beim momentanen Stundensatz der Therapeuten sind dann 1-4 Stunden im Monat drin, wenn man davon ausgeht, dass die Erwerbsminderung ja doch nicht so schlimm ist und das Geld, was monatlich gezahlt wird, dann für die Therapie verwendet werden kann und nicht als Auffang für das verminderte Einkommen.
Fakt ist, das jeder Betroffene nach einer gewissen Anzahl von Therapiestunden geheilt zu sein hat oder aber keine weitere Heilungschance besteht und somit auch keine Gelder für eine Fortführung der Therapie zur Verfügung gestellt werden.
Aber all das ist kein Thema für die aktuelle Diskussion, kein Thema für Demos, kein Thema für ein Gespräch, denn unsere Gesellschaft schreit auf und dann geht sie zum nächsten Aufschrei.
Das Leid, das findet nicht weit weg in der nächsten Stadt oder in einem anderen Land statt, das ist hier in unserer Nachbarschaft und Verwandschaft. Täter sind nicht die grimmigen, fiesen Zeitgenossen, es sind die freundlichen Mütter und Väter, denen man "sowas" ja nie zugetraut hätte.
Ja, diese Fakten sind erschreckend, sich ständig damit zu befassen ist sicher nicht möglich, macht die Psyche nicht mit, wir würden alle wahnsinnig werden vor Angst und Misstrauen. Aber dieses hinschauen, härtere Strafen fordern, abgehakt, das hilft den Kindern und Erwachsenen, die zu Opfern wurden nicht. Hilfe bedeutet, das man sie wahrnimmt und unterstützt, ihnen die Möglichkeit gibt sich zu entwickeln und all das was geschehen ist, zu verarbeiten. Aber das ist in unserem Gesellschaft- und Wirtschaftssystem nicht vorgesehen, irgendwann ist halt mal gut, nicht wahr?
Es geht mir nicht um what aboutism, dennoch vermisse ich die Menschen, die aufstehen und sich hinstellen und mehr fordern für die, die Opfer wurden, anstatt nach härteren Strafen zu schreien, die den Opfern nicht helfen.
Aber who cares?
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