Donnerstag, 14. April 2016

Geschenke

Heute morgen bin ich über einen Text im Netz gestolpert, der mich zum straucheln gebracht hat. 

Gepostet von einer mir ganz lieben Person und einem Menschen, der mir, auch wenn wir eigentlich sehr wenig Kontakt haben, dennoch ein Herzensmensch ist.

Es ist nicht der erste Text dieser Art, der mich zum stolpern gebracht hat, vielleicht war heute der "richtige Zeitpunkt", vielleicht war es der Tropfen wie auch immer.

Und ich habe bestimmt auch schon ähnliche Texte in der Vergangenheit geteilt, einfach weil sie sich schön lesen und so viel Hoffnung transportieren - auf den ersten Blick - doch was ist, wenn man solch einen Text nicht aus dem Blickwinkel der Sicherheit, Geborgenheit und Liebe liest, die er ja eigentlich transportieren möchte?

Der Text spricht von Begegnungen und Erfahrungen, die man "aus einem bestimmten Grund" benötigt, die einem eine Lektion des Lebens lehren werden,

"Und manchmal geschehen Dir Sachen die Dir zwar zuerst schrecklich, schmerzhaft und unfair vorkommen aber wenn Du darüber nachdenkst, erkennst Du, dass Du ohne die Bewältigung dieser Hindernisse niemals Dein Potential, Deine Stärke, Willenskraft und Liebe verwirklicht hättest.

Alles was geschieht hat einen Grund. Nichts passiert zufällig oder durch glückliche Umstände, Krankheit, Verletzung, Liebe.
....geschehen Dir, um die Grenzen Deiner Seele auf die Probe zu stellen. Ohne diese kleinen und großen Tests, was auch immer sie sein mögen, wäre das Leben eine gut gepflasterte, gerade, flache Straße ins Nirgendwo. Es wäre sicher und bequem, aber dumm und absolut sinnlos."

Und dann schaue ich auf die Umgebung und meine Lebenserfahrung zurück und denke nach.

Wie wird sich wohl jemand fühlen, der gerade aus Syrien übers Meer geflohen ist, nun in einem Verwahrungslager in Griechenland auf die Verfrachtung zurück in die Türkei wartet, wenn er diese Zeilen liest? Wird er es als Geschenk des Lebens sehen? Kann man, nachdem Angehörige und Freunde im Krieg umgekommen sind, man flüchten konnte, für diese Erfahrung "dankbar" sein und sich darüber wirklich freuen, das man daraus "stärker erwachsen kann"? 

Fragen die wohl nur jemand beantworten kann, der diese Situation erlebt hat. Und auch da wird es sicher unterschiedliche Antworten geben.

Ich kann diese Frage für mich beantworten. Nein nicht aus Kriegserfahrungen, aber aus meinen Lebenserfahrungen.

Weder hatte ich einen liebevollen, guten Start in dieses Leben, noch waren die ersten 18 Jahre von Liebe, Achtsamkeit oder ähnlichem geprägt, ganz im Gegenteil, bis es zumindest zu einigem davon kam, dauerte es länger.

Menschen die mich kennen und mögen, könnten jetzt antworten "aber schau, Dein Potential, Deine Stärke, Willenskraft hättest Du ohne diese Erfahrungen niemals verwirklicht."  - ich bin ehrlich, ich weiß nicht ob ich diesen Menschen nach so einer Aussage noch mal begegnen wollen würde, denn das wäre so ziemlich das unmenschlichste was man mir entgegen bringen könnte.

Es gibt Erfahrungen die ich gemacht habe, die ich keinem Menschen wünsche. Die selbst in den Gerichtsakten nicht erträglich sind, die zu einem Urteil führten, für das sich der Richter entschuldigte, weil es nach seinem Gefühl viel zu milde war, aber die Gesetze und die Befürchtung vor einer Revision vor dem BGH, nicht mehr hergaben. 

Mit diesen Erfahrungen lebte ich lange nach dem obigen Motto "haben mich zu dem gemacht, was ich heute bin."

Das ich gut 20 Jahre diese Erfahrungen  so emotional verpackt hatte, dass sie mich offensichtlich nicht berührten war ein enormer Kraftaufwand und dann kam der Tag X und durch eine ganz "harmlose" Lebenserfahrung brachen diese alten Erfahrungen auf und mit ihnen Erinnerungen und Gefühle aus längst vergangener Zeit.

Auf einmal brach die lebenslustige, mutige, liebe wie auch immer man mich beschrieb zusammen. Einkaufen, mit engen Freunden treffen, aus dem Haus gehen, telefonieren, alles was zum "normalen" Leben dazu gehört, war nicht mehr möglich. Ängste, Horrortrips ohne Drogenkonsum, Bilder aus der Vergangenheit die so real waren, dass ich sie riechen und fühlen konnte, nur ein kleiner Einblick aus dem was da plötzlich meinen Alltag ausmachte.

Ein Geschenk des Lebens? "geschehen, um die Grenzen meiner Seele auf die Probe zu stellen"?

Perfide ist diese Aussage. Unmenschlich.

Stand heute, nach fast 2 Jahren intensiver Auf- und Bearbeitung, noch mehr Wissen über die Vergangenheit und dem langsamen aufbrechen von eingeimpften Verhaltensmustern, nein es gibt keinen Grund, kein Lerngeschenk, kein "Seele auf die Probe stellen" - es gibt Erleben, das Scheiße ist, das kein Mensch verdient und das mit allen schönen Worten und Taten der Welt, weder ungeschehen, schön geredet noch wieder gut gemacht werden kann.

Hoffnung? Ja, ich hatte am Anfang die Hoffnung, dass sich Erleben heilen lässt. Naiv. Heute weiß ich, dass es keine "Heilung", kein "alles wird gut" geben wird. Es gibt " es ist vorbei", "ich lerne damit zu leben", "ich verdränge nicht mehr", sondern "stelle mich dem Erlebten" um es soweit wie möglich emotional aufzuarbeiten und dem was an Bildern und Gefühlen dazu hochkommt entgegen zu treten. Ja ich kann noch lachen und Menschen die mich wenig, oberflächlich kennen, würden nie auf den Gedanken kommen, das in meinem Lebenslauf Dinge drin stehen, die sie nicht mal im TV sehen möchten, ich nehme auch wieder aktiver am "Leben" teil, dennoch bin ich weit von "normal" entfernt und werde dieses "normal" auch niemals leben können, das sind dann also die Geschenke für die ich dankbar sein soll, wenn ich solch einen Text lese?

Nein, nicht falsch verstehen, ich bin nicht verbittert, ich sehe nur meine Realität und in dieser gibt es keine positiven Gedanken zu Geschenken von Erzeugern, die diese in Form von Misshandlung, Vernachlässigung und Missbrauch überreich(t)en.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen