Dienstag, 18. Juni 2013

Candy

nein kein Zuckerstück. Ein Mann mit amerikanischen Wurzeln.

Ich lernte ihn im Sommer 1992 kennen. Gerade 18 jobbte ich in meiner Stammdisco an der Theke. Da ich ja sowieso hinter dem Tresen mehr oder weniger aufgewachsen war, war das für mich der sinnvollste Nebenjob.

Der Inhaber des kleinen, schnuckeligen Disco, die für knapp 100 Leute Platz hatte, rundrum verspiegelt war und in einem kleinen Dorf lag, war schwul und aus der großen, fernen heutigen Goldstückstadt. 

Der Laden brummte am Wochenende. Gute Türsteher sorgten dafür das es nie zu Schlägerein kam und das Publikum kannte sich. Dann an einem Wochenende an dem ich eigentlich mit Tanja zusammen arbeiten sollte, stand ER vor mir.

Holla die Waldfee, was für ein Mann. 2 Köpfe größer als ich, gut gebaut, sportlich, muskulös, braun gebrannt, ein weißes eng anliegendes Hemd, eine zerrissene Jeans und darüber eine Leder Chaps. Berliner Schnauze und Augen in denen ich sofort versank. Ich war hin und weg. Na das würde ein lustiger Abend werden.

Wir verstanden uns auf Anhieb und nach ein paar Stunden war für mich klar: Candy ist schwul und somit war mal wieder das Sprichwort "Entweder schwul, besetzt oder ein Arschloch" bestätigt.

Wir wurden mit der Zeit gute Freunde und irgendwann war es so weit, dass er nicht mehr morgens 80km nach Hause fuhr um abends wieder mit mir den Laden aufzumachen, sondern mit zu mir kam und dort, aufgrund von fehlenden Möglichkeiten,  bei mir im Doppelbett schlief. Wir waren wie Bruder und Schwester. Ich lag bei ihm im Arm, er kraulte mir den Rücken oder umgekehrt, aber es war nie irgendein Anflug von Sexualität. Mittlerweile hatte er sich auch mir gegenüber geoutet und ich war als erste Frau in der Wohnung seines Freundes und ihm zu Besuch.

Irgendwann traf er auf den Erzeuger, komische Situation, denn das war vor der Sache mit Charly  ich hatte im ersten Moment das Gefühl sie kennen sich, aber damals dachte ich, ich täusche mich. Wie sich dann aber herausstellte, hatte ich mich nicht getäuscht, die Szene ist einfach sehr klein gewesen zu dieser Zeit.

Wir arbeiteten über ein Jahr jedes Wochenende zusammen. Er erzählte mir von Problemen mit seinem Lebensgefährten, von der Lederszene, von so vielen Sachen.

An einem Freitgabend stellte mir ein Gast ein Glas in die Spülbürste das ich nicht sah. Das Glas in meiner Hand ging zu Bruch und ich hatte einen tiefen Schnitt im Handballen, blutete kurz sehr stark aber mit Pflaster war es nach kurzer Zeit wieder zu. Der Abend verlief wie immer, wir hatten sehr gut zu tun.

Der neue Türsteher machte seinen Job leider nicht gut, gegen 4 Uhr, wir wollten in einer guten Stunde schließen, lies er jemanden rein, der eigentlich Hausverbot hatte.  Es kam zu einem Handgemenge, der DJ sah es noch vor uns, machte sofort die Musik aus rief den Türsteher und seine Jungs  gleichzeitig machte er das Licht an - da flog schon der erste Barhocker.

Innerhalb von kurzer Zeit hatten wir eine heftige Schlägerei. Candy blieb erst noch bei mir wollte die Theke mit sichern. Als der Türsteher auf dem Boden lag und jemand nach ihm trat, sprang Candy, mit einem Satz über die Theke und griff ein. Ich sicherte die Kasse. Der nächste Barhocker flog an mir vorbei in das Glasregal mit den Spirituosen. Die Polizei hatte ich schon alarmiert aber bis die aus der Kreisstadt kommen würden, dauerte es noch. Dann gab es einen lauten Brüller. Candy schaute auf seine Hand, dann auf den Typen vor ihm und drehte durch. Ich lief zu ihm und stellte mich dazwischen. Candy schaute immer wieder auf seine Hand, die voller Blut war, griff sich ins Gesicht, schaute wieder auf seine Hand.

Ich hatte schon beim hinlaufen ein frisches Handtuch gegriffen, denn er blutete wie irre im Gesicht. Seltsamerweise konnte ich ihn beruhigen, einige der Gäste sorgten dafür dass die Schläger nach draussen verfrachtet wurden, ich hielt Candy das Handtuch auf die Nase. Er hatte einen offenen Nasenbeinbruch.

Irgendwann kamen Polizei und Krankenwagen. Die Schläger waren weg nur noch verletzte Gäste und Candy. Durch sein Blut sah ich auch aus als wäre ich verletzt. Mein Schnitt war auch wieder leicht aufgegangen denn irgendwann hatte ich das Pflaster verloren.

Candy wurde mit dem Krankenwagen abtransportiert, die Polizei nahm alles auf und verschwand. Ich informierte den Besitzer des Ladens, der gerade in Berlin seine neue Location öffnete und rief den Erzeuger an, er möge mich abholen, wir müssten Candy noch im Krankenhaus abholen, denn ich musste ihm versprechen das wir ihn da nicht lassen, sonst wäre er gar nicht mitgefahren.

Der Erzeuger kam, ich schloss den Laden ab und wir holten Candy. Einige Stunden später waren wir im Laden, räumten auf, der Erzeuger fuhr zur Metro und holte Getränke, die der Lieferant nicht bringen würde, der Glaser setzte die neuen Spiegel und abends um 21 Uhr öffneten wir die Türen wieder.

Candy mit Nasenverband, ich mit Pflaster an der  Hand und neuen Türstehern aus Goldstückstadt sowie einem Stammgast daneben, wegen den Gästen mit Hausverbot.

Es war ein ruhiger Abend.

Einige Wochen später ich hatte ein Freiwochenende, schaut mir der Erzeuger auf die Hand, sieht die Narbe und fragt was da passiert ist. Ich erzähle es ihm, von dem Wochenende der Schlägerei sei der Schnitt, Spülbürste usw. 

Er wurde blass:

Hattest Du HANDSCHUHE AN ALS DU CANDY GEHOLFEN HAST?

Nein wieso? 

DU WEISST NICHT DAS CANDY POSITIV IST?

Am nächsten Morgen war ich direkt zur Blutabnahme. Die nächsten Wochen und Monate zählen noch heute zu den schlimmsten in meinem Leben. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich mich bei Candy, aufgrund meiner Verletzung angesteckt hatte, war groß, wie mir auch die Ärztin bestätigte. Im Abstand von 6 Wochen ging ich ein Jahr lang zum Testen und lies jeden Mann abblitzen. Gsd war nichts passiert.

Candy stellte ich nach der ersten Blutabnahme zu Rede, erst da fiel ihm auf, dass er mir dieses "kleine" Detail nicht mitgeteilt hatte. Für mich war das ein enormer Vertrauensbruch.

Wir hatten noch 4 Jahre engen Kontakt, er nahm mich in Läden mit, wo sonst keine Frau reinkam und  dann ging er wieder zurück in die Staaten, dann brach unser Kontakt ab. 

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